(Romantische) Liebe, Umsorgen, Sanftmut, Vergeben, aus vollem Herzen
Die Bedeutung:
Traditionell repräsentiert das Herz fast ausschließlich Liebe - nicht nur romantische Liebe; Liebe in all ihren Formen und Äußerungen. Aber dennoch: Traditionell handelt das Herz von dieser einen Dimension menschlichen Lebens, Liebe. Wenn man Lenormandkarten für klassische Wahrsagerei benutzt, für die die Versicherung (bzw. Voraussage) von romantischer Liebe oft die hauptsächliche Motivation ist, ist das Herz sicher eine der wichtigsten Karten. Ich aber benutze die Karten für Selbsterforschung, für Problemlösungen, für Inspiration. Für diesen Zweck macht seine Eindimensionalität das Herz sperrig im Gebrauch, manchmal limitierend. Zwar versuchte ich, die traditionelle Bedeutung über die Grenzen interpersonaler Beziehungen hinaus zu erweitern. Aber obwohl mir das ganz gut gelang war ich doch eingeschränkt dabei, weil ich innerhalb jener Grenzen bleiben musste (und wollte!), die das Herz als Symbol steckt. Und diese Grenzen sind ganz einfach ziemlich eng.
Romantik / Romantisierung / Betörung: Während diese Dimension der Bedeutung des Herzens für mich persönlich nicht die meistgenutzteste ist, ist sie sicher die erste, die Menschen einfällt, wenn sie das Symbol "Herz" sehen: Romantik. Das Herz steht für romantische Liebe, für die Chance auf eine neue Liebesbeziehung, für Verliebtheit - Schmetterlinge im Bauch. Wann immer man eine Frage zu einer romantischen Beziehung hat, spricht die Gegenwart oder Abwesenheit der Herzkarte, die Position in der sie liegt sowie ihre umgebenden Karten Bände. Wichtig ist es allerdings zu wissen, dass das Herz alleine hier nur romantische Gefühle anzeigt, nicht aber automatisch auch das Commitment zu einer romantischen Beziehung!
Zusätzlich zur Interpretation des Herzens als interpersonale Romanzen hat es sich für mich als ungemein nützlich herausgestellt, das Herz als quasi-romantische aber definitiv nicht-sexuelle Betörung zu lesen. Das Herz kann beispielsweise für eine starke Betörung von einer bestimmten Fernsehserie stehen (ohne die wir unmöglich leben könnten!), oder für die Betörung von unserem neuen Cabriolet (mit dem wir mehr Zeit verbringen als mit unseren Liebsten), oder für die Betörung von einem Konzept (von dessen Perfektion wir so überzeugt sind, dass wir die offensichtlichen Makel nicht sehen können). Wenn man all das nur einen kleinen Schritt weiterdenkt, dann steht das Herz auch für Romantisierungen. Es kann uns warnen, dass wir eine rosarote Brille tragen, dass wir so "verliebt" in jemanden oder auch etwas sind, dass wir dessen möglicherweise sehr relevanten oder sogar gefährlichen Fehler völlig ausblenden.
Liebe in all ihren Formen / geliebter Mensch / Vorliebe: Abgesehen von romantischer Liebe repräsentiert das Herz alle nur vorstellbaren Formen von Liebe. Es kann elterliche Liebe repräsentieren, die Liebe zu engen Freunden, starke platonische Liebe, oder Altruismus im Allgemeinen. Das Herz kann uns raten, unseren Nachbarn wie uns selbst zu lieben. Es kann aber auch einen geliebten Menschen repräsentieren, einen Liebhaber, für jemandem mit einem guten Herzen, eine weichherzige Person, eine sehr wohlwollende Person. Und das Herz kann bedeuten, dass wir eine Vorliebe für etwas haben; es repräsentiert alle Dinge, sogar Tätigkeiten, an denen unser Herz hängt.
Akte der Liebe / Umsorgen / Barmherzigkeit: Liebe ist nicht nur etwas, das wir fühlen; sie ist etwas, das wir tun. Wenn wir jemandem sagen, dass wir ihn lieben, ihn aber nicht trösten, wenn er unseren Beistand braucht, dann ist das, was wir Liebe nannten entweder eine Lüge, oder sehr schwach. Wenn wir jemanden wirklich Lieben, verhalten wir uns auch entsprechend. Deshalb repräsentiert das Herz auch alle Akte der Liebe. Es steht für liebevolles Umsorgen, für das zeigen von Mitgefühl, für Mitfreude, für Trostspenden, für die liebevolle Pflege einer pflegebedürftigen Person. In manchen konkreten Legungen sagt uns das Herz, dass wir mehr Zeit mit unseren Lieben verbringen sollten. Und es kann für die Gabe von Almosen stehen, für Spenden, sogar Wohlfahrt.
Der liebevolle Blick / Sanftmut / Vergebung: Wenn wir eine Person mit einem liebevollen Blick ansehen, bedeutet das, sie als unserer Liebe wert zu betrachten, und zwar so, wie sie jetzt ist. Wenn wir unseren liebevollen Blick aktivieren, schweigt die Zynikerin in uns, der ständige Makelfinder. Wir hören auf zu kritisieren, zu vergleichen. Stattdessen akzeptieren wir das, was wir sehen als das was es ist und lieben es genau so. Der liebevolle Blick sagt uns, dass alles und jeder durch unsanfte Behandlung verletzt oder sogar gebrochen werden kann. Er ermutigt uns, andere (und uns selbst) zärtlich zu behandeln, sanft zu sein. Wie sich dies alles auf konkrete Legungen übertragen lässt, ist vom Kontext abhängig. Als Rat, zum Beispiel, kann das Herz als Hinweis verstanden werden, dass wir zu hart mit uns selbst oder anderen umgehen, und weicher, sanfter an die Dinge herangehen sollten. Als Warnung sagt uns das Herz aber vielleicht, dass wir zu sanft, zu weich sind, dass wir uns selbst oder andere auf ungesunde Art verzärteln, verhätscheln.
Wenn es uns gelingt, jemanden, mit dem wir einen Konflikt haben, jemanden, der uns verletzt hat, dennoch mit einem liebevollen Blick zu betrachten, dann macht dies Vergebung und Versöhnung möglich. Beide sind sehr wichtige Bedeutungsdimensionen des Herzens, selbst wenn die Fragestellung nichts mit einem interpersonalen Konflikt zu tun hat. Denn oft weist das Herz darauf hin, dass es etwas gibt, das wir uns selbst nicht verziehen haben, oder dass es unangenehme Wahrheiten oder Vorfälle in unserer Vergangenheit gibt, mit denen wir uns aussöhnen sollten.
Aus ganzem Herzen / die Stimme des Herzens: Viele Kartenlegerinnen assoziieren das Herz nicht nur mit Romantik, sondern auch mit Leidenschaft. Für mich ist allerdings Leidenschaft etwas sehr wildes, verzehrendes, das ich viel eher in der sinnlichen Lilie sehe. Das Herz zeigt für mich nicht stürmische Leidenschaft an, sondern etwas viel stilleres, aber nicht weniger intensives: die Stimme des Herzens. Das Herz kann darauf hinweisen, dass man etwas aus ganzem Herzen tut, mit Herz und Seele dabei ist. Es steht für etwas, das wir im tiefsten Grunde unseres Herzens wissen. Das Herz kann bedeuten, das wir uns etwas zu Herzen nehmen, dass etwas unser Herz berührt.
Das Bild:
Das Herz war eine der drei Karten, die meinen kreativen Schaffensprozess fast zwei Jahre lang aufhielten. Denn ganz offensichtlich konnte ich kein reales Herz zeichnen, mit Arterien und fließendem Blut. Das wäre zu drastisch gewesen, blutig, fast makaber, und hätte die Bedeutung der Karte zur Unkenntlichkeit verzerrt. Aber genauso wenig wollte ich ein rotes Herz im Comic-Stil zeichnen. Und alle anderen symbolischen Darstellungen, die mir einfielen (z.B. zwei Schwanenhälse, die eine Herzform bilden, oder Finger, die sich sich zur Herzform beugen) erschienen mir abgegriffen und in sich auch nicht bedeutungsstark. Schlussendlich wählte ich eine simple, aber hoffentlich auch emotional bewegende Darstellung: Eine Person wiegt ein leuchtendes Herz in ihren Armen. Dieses Herz, das sie so zärtlich, fast beschützend, hält, könnte ihr eigenes innerstes Wesen repräsentieren, aber es könnte auch für etwas oder jemanden stehen, der ihr viel bedeutet. Weil das Herz leuchtet, wirft es sein warmes Licht auf seine Umgebung. Dieser Aspekt der Illustration zeigt, was der liebevolle Blick tut: Er verwandelt die Welt in einen wärmeren, helleren Ort.
In meinem erster Entwurf der Karte fehlte noch das weiche, seidige Tuch, in das das Herz zum Teil eingehüllt ist. Aber das Bild fühlte sich solange nicht richtig an, bis ich das Tuch dazufügte. Denn unsere (metaphorischen) Herzen sind fast erschreckend verletzlich. Sie können so leicht verwundet werden, sie brechen so schnell. Ohne das zusätzliche zumindest teilweise schützende Verhüllen sah das Herz zu exponiert aus, gefährdet. Und das wiederum ließ die Person, die es hält, achtlos scheinen! Das schützende Tuch dagegen sagt der Betrachterin, dass die Person, die das Herz hält, sorgsam damit umgeht. Darüber hinaus drückt das teilweise Verhülltsein des Herzens aus, dass wir unser Herz gewöhnlich nicht einfach so und jedem zeigen. Unser Herz zu entblößen ist ein sehr intimer Akt, der viel Vertrauen erfordert.
Ein anderes interessantes Detail dieser Illustration ist, dass ich die rote Farbe des Tuches nicht nur deshalb wählte, weil Rot eine warme Farbe ist und gern mit Liebe assoziiert wird. Oben erwähnte ich bereits, dass mir von Beginn an klar war, dass die Darstellung eines tatsächlichen, anatomisch korrekten Herzens keine Option für mich war. Aber ein Teil von mir bereute das. Denn während ein tatsächliches Herz zu drastisch gewesen wäre, hätte es auch eine körperliche Dimension in die Illustration hineingebracht. Tiefe Liebe - romantisch oder nicht - ist nicht etwas, das ausschließlich in unserem Geist stattfindet. Es ist immer auch ein sehr physischer Prozess, der beispielsweise unsere Hormone und sogar Blutdruck und Atemrhythmus beeinflusst. Deshalb wählte ich die blutrote Farbe des Tuches, um zumindest ein Echo dieser physischen Realität abzubilden; eine Anspielung auf fließendes Blut, auf den realen pulsierenden Herzmuskel.
